„Wer mitten im Strom die Pferde wechselt, muss schnell reagieren“


Leica hat wie kaum eine andere Marke die Fotografie des 20. Jahrhunderts geprägt. Gravierende Managementfehler und ein Mangel an Kapital führten den innovativen Kamerahersteller aus Solms in eine schwere Krise. 2004 stieg der Investor Dr. Andreas Kaufmann ein und schaffte 2009 den Turnaround. Im Interview spricht der Aufsichtsratsvorsitzende und Mehrheitsaktionär der Leica Camera AG über die Restrukturierung der Kultmarke, den Einstieg des Finanzinvestors Blackstone und seine Vision, Leica wieder zu einem Kamerahersteller von Weltgeltung zu machen.



Unternehmeredition: Herr Dr. Kaufmann, Sie stammen aus einer der reichsten Familien Österreichs und haben sich einst bewusst für den Beruf als Lehrer an einer Waldorfschule entschieden. Wie kam es zum Schritt in die Wirtschaft, zum Unternehmertum?

Kaufmann: 
Unser Familienunternehmen war die auf die Herstellung von Papier, Zellstoff und Verpackungen spezialisierte Frantschach AG. 2004 haben wir die letzten Anteile daran verkauft, an Mondi, eine an der London Stock Exchange notierte Tochter des südafrikanischen Konzerns Anglo-American. Damals hatte Frantschach einen Jahresumsatz von fast 2 Mrd. EUR. 2002 gründete ich mit meinen zwei Brüdern die Beteiligungsfirma ACM Projektentwicklung GmbH, die sich auf Unternehmen rund um Wetzlar in der optoelektronischen Industrie konzentriert. Aktuell sind wir an Weller Feinwerktechnik, Fineoptix und an dem Start-up CW Sonderoptik beteiligt. Den ersten Kontakt zu Leica gab es im Jahr 2003, als wir deren Tochterunternehmen Viaoptic erworben haben - nach einer mühsamen Restrukturierung schreibt das Spritzgussoptik-Unternehmen seit 2010 wieder schwarze Zahlen. Grundsätzlich geben wir dem Management große Freiheiten. Manchmal muss man eingreifen, um deutliche Sanierungsschritte zu setzen.
Unternehmeredition: Was macht Leica einzigartig und zur Kultmarke?

Kaufmann: 
Leica hat die Geschichte der Fotografie des 20. Jahrhunderts geprägt. Dieser Mythos basiert auf einer hohen Expertise im Bereich der Feinwerktechnik, Mechanik und Optik sowie einem Gefühl für Haptik und Design. Heute kommt ein modernes Software- und Elektronikkonzept hinzu. Aber wir wären nichts ohne diesen Mythos, den man Marke nennt.
Unternehmeredition: Wie kam es zur Beteiligung an der börsennotierten Leica Camera AG? Was hat Sie am Unternehmen besonders gereizt?

Kaufmann: 
Als wir 2003 mit dem Leica-Management wegen der Übernahme der Tochter Viaoptic verhandelten und überraschend schnell einen äußerst günstigen Preis erzielten, dachten wir, bei Leica stimmt etwas nicht. Deswegen haben wir uns auch die bekannte Traditionsmarke näher angesehen. Bestärkt hat uns, dass Hermes, ein Weltkonzern mit finanziellem und modischem Ruf wie Donnerhall, seit 2000 mit 31,5% Hauptaktionär war. So sind wir nach einer indirekten Due Diligence im August 2004 eingestiegen, haben 27,4% der Aktien gekauft und wurden zweitgrößter Aktionär. Als wir in der Firma waren, mussten wir feststellen, dass die Lage weit schlimmer war als gedacht. Anfang 2005 waren mehr als 50% des Grundkapitals verbraucht, Hermes wollte aussteigen. Wir mussten sofort eingreifen: Im August 2005 haben wir unseren Anteil auf 96,5% aufgestockt, ein Interim Management eingesetzt und die finanzielle Restrukturierung durchgeführt.
Unternehmeredition: Was waren die Ursachen für die Krise von Leica?

Kaufmann: 
Immer wieder entwickelte Leica als Pionier Schlüsselinnovationen, hat sie aber nicht selbst oder zu spät umgesetzt - etwa den Autofokus in den 70er Jahren oder die digitale Fotografie seit den 90er Jahren. Die Ursachen lagen in einem zögerlichen Management und einem Mangel an Kapital. Auch der Börsengang im Jahr 1996 änderte wenig daran, denn mit dem Emissionserlös wurden in erster Linie Darlehen zurückgezahlt. 1996 hat Leica die erste Digitalkamera S1 herausgebracht, sie kostete damals 38.000 DM, etwa 152 Stück wurden produziert. Darauf aufbauend wurde in Kooperation mit Fuji die erste digitale Consumer Kamera gefertigt. Das Know-how war da, aber das Thema wurde nicht weiterverfolgt, im Gegenteil: 2004/2005 beschloss das Management den Rückzug aus der digitalen Fotografie ins Analoge - als Ableitung aus der Uhrenindustrie. So haben sie 2004 zum Jahr der analogen Renaissance ausgerufen - für uns nicht nachvollziehbar und ein gravierender Fehler, der Leica tief in die Krise stürzte.
Unternehmeredition: Was waren die Gründe für Ihre Entscheidung, das Ruder als Vorstandsvorsitzender selbst in die Hand zu nehmen?

Kaufmann: 
Das ist zunächst wie ein Betriebsunfall passiert. Unser Prinzip war immer, Leica aus der Holding in Österreich herauszuführen, zusammen mit einem guten Management vor Ort. Wir mussten uns Anfang 2008 kurzfristig von unserem neuen CEO trennen, da er seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Wer mitten im Strom die Pferde wechselt, muss schnell reagieren. Wir konnten den Mitarbeitern nicht schon wieder einen Interim Manager zumuten. Da blieb nur eine Möglichkeit: Ich gehe selbst rein. Es war ein klares Signal an die Mitarbeiter, dass die Eigentümerfamilie 100%ig hinter der Firma steht. Außerdem hatten wir zu dieser Zeit das größte Investitionsprogramm in der Geschichte von Leica zu verantworten.
Unternehmeredition: Was waren die entscheidenden Maßnahmen, um Leica wieder nach vorne zu bringen?

Kaufmann: 
Wir mussten unsere Zeitarbeiter abbauen, konnten aber unsere festangestellten Mitarbeiter fast vollständig halten. Alleine mit Kostensparen kann man nicht siegen. Deswegen haben wir gleichzeitig eine saubere Roadmap für die nächsten Jahre aufgestellt: Investitionen in F&E, Elektronik, Software, Optik und in neue Produkte. Zudem haben wir Kooperationen verstärkt, z.B. mit dem Halbleiterkonzern Fujitsu bei der Entwicklung eines eigenen Kamera-Prozessors. So gelang 2009 der Quantensprung, technologisch auf Augenhöhe mit den asiatischen Mitbewerbern zu sein. Gleichzeitig ist es uns gelungen, den Kern der Leica Produktpalette, die M 8, digital zu machen und 2009 auch als sogenannte Vollformatkamera (Sensor 24 x 36 mm) als M 9 auf den Markt zu bringen - technisch äußerst anspruchsvoll und aufgrund der enormen Bildschärfe für Profis hochinteressant. Ab Sommer 2009 schrieben wir wieder schwarze Zahlen, weil wir dann das neue Produktportfolio fertig hatten, im Kern die neuen Kameras X1, M9 und S2, auf denen auch weiterhin unser nachhaltiger Erfolg beruht. Wir haben für die Restrukturierung 3,5 Jahre gebraucht. Unsere Erwartungen wurden übertroffen: Wir haben eine Eigenkapitalquote von über 50% und keinerlei Bankschulden. Entscheidend war auch ein Paradigmenwechsel im Vertrieb, der Aufbau einer eigenen Retailstrategie.
Unternehmeredition: Welchen Paradigmenwechsel haben Sie im Vertrieb eingeläutet?

Kaufmann: 
Die Kamera-Industrie ist heute hauptsächlich geprägt von südostasiatischen Playern wie Samsung, Sony, Panasonic, Canon und Nikon. Alle verfolgen das gleiche Vertriebskonzept über Distributoren und Händler, wie hierzulande über Media Markt und Saturn. Den klassischen Fotohändler gibt es größtenteils nicht mehr. Deswegen haben wir einen Paradigmenwechsel in der Branche eingeläutet und gesagt, wir müssen den direkten Kontakt zum Endkunden herstellen, und zwar über eigene Stores. Wir hatten dank der Initiative von Hermes ab 2005 das Konzept "Leica Shop" und "Leica Store" entwickelt und verfügen heute weltweit über 50 Point of Sales - alles Mono Brand Stores, die teils im Franchise, teils von uns selbst betrieben werden. Allerdings gibt es hier noch einiges zu tun.
Unternehmeredition: Ende 2011 haben Sie rund 44% des Unternehmens an den Finanzinvestor Blackstone verkauft. Was waren die Gründe dafür?

Kaufmann: 
Wir haben gemeinsam die Lisa Germany Holding gegründet, in der unsere Leica-Anteile, über 97%, gebündelt sind. Daran hält Blackstone 45% und wir 55% - es war von vornherein klar, dass wir nicht die Mehrheit abgeben. Auf einer außerordentlichen Hauptversammlung Ende März 2012 haben wir beschlossen, in einem Squeeze-out die restlichen Aktionäre herauszukaufen und Leica von der Börse zu nehmen. Blackstone ist ein fairer Partner, wir haben ein klares Shareholder Agreement. Wir hätten das nicht machen müssen. Mein Motiv: Ich schlafe gerne gut. Unser Ziel, die Leica zu einem Weltkonzern auszurollen, ist ambitioniert. Nachdem Hermes 2006 ausgestiegen war, wollte ich wieder einen starken Partner haben. Wir haben zahlreiche Gespräche geführt und Blackstone hat sich als der passendste erwiesen. Blackstone verfügt über ein gutes Netzwerk, insbesondere in China, unserem nächsten Betätigungsfeld, und kann notfalls Kapital nachschießen.
Unternehmeredition: Wie schätzen Sie die weiteren Zukunftsaussichten Ihres Unternehmens ein? Was ist Ihre Vision?

Kaufmann: 
Ende 2013 werden wir komplett in ein neues Werk von Solms nach Wetzlar umziehen, dann wird sich die Zahl der Mitarbeiter von 540 auf 650 erhöhen. Das neue Werk hat für die Mitarbeiter und die Kunden auch eine psychologische Funktion, es soll das neue Selbstbewusstsein der Leica in der Architektur ausdrücken. Dort wird es außerdem einen Leica Store und ein Leica-Museum geben. Gleichzeitig erneuern wir das Werk in Portugal, um die Produktivität zu erhöhen. Dort haben wir inzwischen wieder fast 650 Mitarbeiter. Unsere Ziele für die nächsten fünf Jahre sind: den Umsatz zu verdoppeln, die Produktivität zu steigern und die Distribution in weiteren Ländern auf eigene Shops umzustellen, vor allem in China und Russland. Leica hat zwar den Bekanntheitsgrad einer Weltmarke, ist aber als Unternehmen bisher nicht wie ein Weltkonzern aufgestellt. Unsere Vision ist, einen nachhaltigen Umsatz jenseits der 500 Mio. EUR-Marke zu erzielen und die Leica Camera AG wieder zu dem zu machen, was sie schon einmal war: zu einer deutschen Marke von Weltgeltung.
Unternehmeredition: Herr Dr. Kaufmann, vielen Dank für das Gespräch!